Souverän im Space

Sicherheit

Webspecial Fraunhofer-Magazin 3.2023

Um die europäische Kommunikationsinfrastruktur resilienter zu machen und technologische Souveränität im All zu gewinnen, will die EU bis 2027 ein eigenes Satellitennetzwerk aufbauen. Dafür sind neue Lösungen gefragt.

Es begann mit dem Internet in der Ukraine. Als das Netz unter den russischen Angriffen zusammenbrach, war es ein privates Satellitennetzwerk, das die digitale Kommunikation im Land wieder möglich machte. Die Erleichterung über die schnelle Hilfe von US-Unternehmer Elon Musk mit Starlink ging in Europa schnell in Unbehagen über: Augenscheinlich war kein europäischer Staat in der Lage, die Ukraine in diesem strategisch wichtigen Punkt zu unterstützen. Der Krieg machte zwei Probleme unübersehbar: Wie verletzlich terrestrische Infrastruktur ohne ein Back-up aus dem All ist. Und wie abhängig Europa bei Weltraumtechnologien und satellitengestützter Kommunikation von Dritten ist.

Das will die EU nun ändern. Bis 2027 soll eine Konstellation aus bis zu 200 Satelliten die europäische Souve­ränität im Weltall und damit auch am Boden garantieren. Ziele des Großvorhabens mit Namen IRIS² (Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite) sind nicht nur die sichere Vernetzung kritischer Infrastrukturen und ein resilientes Krisenmanagement für Regierungen, sondern auch die flächendeckende Breitbandanbindung in Europa, insbesondere in bisher unterversorgten Gebieten. Damit will die EU technologisch aufschließen zu privaten Initiativen: Neben Starlink – mit derzeit etwa 4000 Satelliten in 500 bis 550 Kilometern Höhe, 8000 weitere sollen folgen – ist auch der britische Anbieter OneWeb mit momentan circa 600 Satelliten im All aktiv.  Mit Project Kuiper hat Amazon eine weitere Mega-Konstellation angekündigt. Und auch China plant bereits ein Netzwerk im fünfstelligen Bereich.

Dr. Nadya Ben Bekhti-Winkel von der Fraunhofer- Allianz AVIATION & SPACE besucht das Radom des Fraunhofer FHR in Wachtberg, das TIRA beherbergt.
© Fraunhofer / Thomas Straub
Dr. Nadya Ben Bekhti-Winkel von der Fraunhofer-Allianz AVIATION & SPACE besucht das Radom des Fraunhofer FHR in Wachtberg, das TIRA beherbergt.

»Immer mehr Länder wollen ihre Souveränität durch eigene Satellitenkonstellationen ausbauen«, stellt Dr. Nadya Ben Bekhti-Winkel fest. Die stellvertretende Leiterin der Geschäftsstelle SPACE der Fraunhofer-Allianz AVIATION & SPACE war – zusammen mit 14 Organisationen aus fünf Ländern – beteiligt an einer Machbarkeits- und Konzeptstudie für eine europäische Breitband-Satellitenkonstellation. Das Ziel: neue Ideen und Technologien dafür zu entwickeln, zu analysieren und zu bewerten. Vier Bereiche sind dafür zentral: Erstens eine robuste, resiliente Kommunikation zwischen den Satelliten durch die Verknüpfung von Funk mit optischen, laserbasierten Technologien. Zweitens größtmögliche Abhörsicherheit durch Quantenverschlüsselung. Drittens ein von GPS unabhängiger Betrieb der Satelliten sowie die Interoperabilität mit bereits bestehenden europäischen Systemen wie Galileo und Copernicus. »Und viertens«, fügt die Weltraumexpertin hinzu, »die Skalierbarkeit des Gesamtsystems.« Zudem führte das Konsortium Kundenanalysen durch, um den Nutzen für staatliche Organisationen, die Industrie und private Haushalte herauszuarbeiten und entsprechende Business Cases aufzustellen. 

Mehr, kleiner, billiger – Satelliten im New Space

Wirtschaftlichkeit ist heute auch im Weltraum wichtig: Willkommen im Zeitalter des New Space! Waren früher Satellitenprojekte ausschließlich von staatlicher Seite getrieben und finanziert, zeigt sich heute immer mehr privatwirtschaftliches Engagement. Der Löwenanteil der benötigten Raumfahrtanwendungen soll von Industrieunternehmen und Start-ups kommen – und sich für diese auch finanziell lohnen. Statt großer Systeme mit anspruchsvoller Technik bilden im New Space miteinander kommunizierende Kleinsatelliten leistungsfähige Netzwerke. »Kleinsatelliten lassen sich günstiger und schneller fertigen als große, konventionelle Satelliten. Unternehmen können damit früher auf den Bedarf des Marktes reagieren. Die Möglichkeit der günstigen Serienfertigung erlaubt es, große Satellitenkonstellationen aufzubauen für ganz neue kommerzielle Dienstleistungen und wissenschaftliche Anwendungen. Für Fraunhofer ergeben sich dabei spannende Forschungsfragen beispielsweise im Bereich intelligenter Systeme, innovativer Nutzlasten, moderner Fertigungsverfahren bis hin zur Anwendungsentwicklung«, sagt Prof. Frank Schäfer, Geschäftsfeldleiter Raumfahrt am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, in Freiburg. Sein Institut erforscht und entwickelt Technologien für den New Space und hat mit ERNST den ersten Fraunhofer-eigenen Forschungssatelliten gebaut, der 2024 ins All starten soll.

Gebaut mit Forschungsmitteln der Bundeswehr, soll ERNST in einer erdnahen Umlaufbahn weltweit Raketenstarts detektieren. Die eingebaute Infrarotkamera kann die Wärme erkennen, die heiße Raketentriebwerke abstrahlen. Der Nanosatellit, der nur halb so klein wie ein Bierkasten ist, eignet sich aber auch für andere wichtige Aufgaben: Waldbrände erkennen, Treibhausgase detektieren oder Meerestemperaturen messen. Als modulare Plattform liefert er wichtige Erfahrungswerte darüber, wie ein Satellit konzipiert sein muss, um möglichst viel leistungsfähige Nutzlast auf kleinem Raum unterzubringen. »ERNST gibt uns ganz neue Möglichkeiten, verschiedenste Technologien auf einer eigenen Satellitenplattform zu erforschen«, sagt Frank Schäfer. »Diese Erkenntnisse fließen auch in die Planung zukünftiger Konstellationen von Kleinsatelliten ein.«

Da viele kleine Satelliten in niedrigen Erdorbits die Erde häufiger umrunden, eignen sich Konstellationen solcher Nanosatelliten zum einen für die Erdbeobachtung, wo möglichst viele Bilder von einem Ort beispielsweise lokale Veränderungen dokumentieren sollen. Mit entsprechender Ausstattung können sie zum anderen durch zeitlich permanente Verfügbarkeit ein flächendeckendes Internet sicherstellen. Mit seinen etwa 200 Einzelsatelliten wird IRIS² – verglichen mit den vierstelligen Satellitenzahlen der privaten Netzwerke – eher überschaubar. Dafür sollen sie intelligent auf mehrere Orbits verteilt werden, denn von höheren Umlaufbahnen aus können sie größere Gebiete abdecken.

Prof. Frank Schäfer beim Check des Solarmoduls.
© Fraunhofer / Thomas Straub
Prof. Frank Schäfer macht ERNST: Bevor der erste Fraunhofer-eigene Forschungssatellit ERNST 2024 ins All fliegt, wird er im Labor des Fraunhofer EMI in Freiburg auf Herz und Nieren getestet – hier ein Check des Solarmoduls.

Wie‘s richtig funkt

Kritisch bei Satellitenschwärmen über mehrere Orbits hinweg ist vor allem die Kommunikation mit den Bodenstationen. Bei IRIS² sollen sowohl modernste Funk- als auch optische Technologien via Laser zum Einsatz kommen. »Eine der größten Herausforderungen beim Aufbau einer neuen Satellitenkonstellation sind die verfügbaren Funkfrequenzen«, sagt Nadya Ben Bekhti-Winkel. »Das elektromagnetische Spektrum ist sehr begrenzt, und auch bei immer mehr Satelliten im Orbit dürfen sich die Funkbereiche unterschiedlicher Dienste nicht gegenseitig stören. Deshalb müssen sie gut abgeschirmt werden; mit Kompatibilitätsstudien muss nachgewiesen werden, dass sich nichts überlagert.« In Deutschland erfolgt die restriktive Vergabe der Frequenzen und deren nationale sowie internationale Regulierung über die Bundesnetzagentur.

 In der Antennentesthalle des Fraunhofer IIS in Erlangen prüft Rainer Wansch die Eigenschaften von Antennen für die Satellitenkommunikation und evaluiert ihre Leistungsfähigkeit.
© Fraunhofer / Thomas Straub
Funkt’s richtig? In der Antennentesthalle des Fraunhofer IIS in Erlangen prüft Rainer Wansch die Eigenschaften von Antennen für die Satellitenkommunikation und evaluiert ihre Leistungsfähigkeit.

Satellitenkommunikation muss also möglichst effizient mit den verfügbaren Frequenzen haushalten. Daran arbeitet Rainer Wansch, Abteilungsleiter Hochfrequenz- und SatKom-Systeme, mit seinem Team am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen. Die Forschenden waren bereits beteiligt bei der Standardisierung von DVB-S2X, dem derzeit fortschrittlichsten Standard der Satellitenkommunikation. Mit dem sogenannten Beam Hopping nutzen sie ein neues Konzept, das die Datenübertragung via Satellit flexibel an das jeweilige Datenaufkommen in verschiedenen Gebieten anpassen kann. »Bisher versorgt ein Satellit bestimmte Bereiche statisch mit Daten. Beim Beam Hopping schaltet er zwischen verschiedenen Ausleuchtzonen hin und her – basierend auf einem Zeitplan, der die aktuell benötigten Datenraten berücksichtigt«, erklärt Wansch. »So lassen sich mit einer Antenne mehrere Bereiche abdecken – und die Übertragungskapazität steht in voller Bandbreite immer genau dort zur Verfügung, wo sie gerade gebraucht wird.« Dafür sind sogenannte modulare Phased-Array-Antennen auf den Satelliten nötig. Deren Einzelstrahlen sind elektronisch ansteuerbar und damit viel flexibler als bisherige mechanisch gesteuerte Antennen.

Integration in 5G ist entscheidend

Eine globale Mobilfunkabdeckung funktioniert nur zuverlässig, wenn die Satellitenkommunikation in die terrestrische Kommunikation wie das 5G-Netz eingebunden ist. Dafür sollen auch die Endgeräte perspektivisch direkt mit den Satelliten kommunizieren können – selbst dann, wenn gerade keine terrestrische Basisstation in der Nähe ist, die dafür bislang unverzichtbar ist. Je nach Empfangslage könnten Smartphones oder auch autonome Fahrzeuge zukünftig also die 5G-Verbindung wahlweise über eine terrestrische Station oder direkt via Satellit aufbauen. Mit einer solch flexiblen Kombination aus Glasfaser- und Satelliteninternet wäre eine vollständige Netzabdeckung in Deutschland möglich – Funklöcher ade. Die unmittelbare Kommunikation zwischen Satelliten und 5G-fähigen Endgeräten in einem sogenannten nicht-terrestrischen Netz (NTN) konnten die Forschenden des Fraunhofer IIS um Rainer Wansch 2021 erstmals erfolgreich an einem geostationären Satelliten zeigen, der fest über einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche fliegt.  

Um solche NTNs, effiziente Übertragungskonzepte und weitere Satellitentechnik zu erproben, entwickelten die Funkexperten mit dem »Fraunhofer-On-Board-Prozessor« (FOBP) eine Art Satellitenkommunikationslabor, das Forschung und Industrie für Experimente buchen können. Das fliegende Labor hob im Sommer an Bord des Kommunikationssatelliten »Heinrich Hertz« (H2Sat) ins All ab und übernimmt dort die digitale Signalverarbeitung. »Bisher fungieren Kommunikationssatelliten als reine Verteilpunkte, die die Signale von der Erde empfangen, verstärken und an andere Bodenstationen weitersenden, wo sie verarbeitet werden«, verdeutlicht Wansch. »Durch On-Board-Prozessoren lassen sich die Signale direkt in den Satelliten aufbereiten. Sie werden so selbst zu intelligenten Netzwerkkomponenten, mit denen Datenströme bedarfsgerecht gesteuert werden können.« Da der Prozessor von der Erde aus jederzeit an neue Kommunikationsstandards angepasst werden kann, eignet er sich für vielfältige Experimente und Anwendungen. 

Mit Licht kommunizieren

Immer mehr Daten, begrenzte Funkfrequenzen – am Ende dieses Tunnels gibt es: Licht! Denn auch Licht lässt sich für die Kommunikation zwischen Satelliten und Erdstationen nutzen. Wie man immer größere Datenmengen mit Lichtgeschwindigkeit über immer längere Distanzen durchs All senden kann, erforschen unter anderem die Jenaer Optikexperten am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF. Sie entwickeln sowohl Laserquellen, um das Licht zu erzeugen, als auch optische Verstärker, um seine Reichweite zu maximieren.

Eine ihrer Lösungen ist der Wellenlängenmultiplexer: ein Gerät, das mehrere Laserstrahlen in verschiedenen Wellenlängen kombiniert. Jeder einzelne Laserstrahl stellt mit seiner spezifischen Wellenlänge einen Kanal dar, der momentan mit jeweils 20 Watt Leistung Daten übertragen kann. Durch diesen Mehrkanal-Ansatz sind hohe Übertragungsraten möglich. Zudem fasst der Multiplexer diese Kanäle zu einem einzigen, stärkeren Signal zusammen. Die Überlagerung von fünf Kanälen ermöglicht also insgesamt 100 Watt optische Leistung und damit eine sehr hohe Reichweite. Auf diese Weise ist eine optische Verbindung bis zum Mond denkbar. So könnten auch über mehrere Orbits hinweg verteilte Satelliten problemlos via Licht mit den Erdstationen kommunizieren. Derzeit arbeiten die Forschenden an einem System mit 1000 Watt Leistung, das sich perspektivisch auch auf 10 000 Watt skalieren lassen soll. Damit wäre es sogar möglich, den Mars mit Daten von der Erde zu erreichen.

Sicher mit Quantenverschlüsselung

Neben Reichweite und Kapazität bietet Licht einen weiteren Vorteil: Verschränkte Lichtteilchen machen den Datenaustausch besonders sicher – in der heutigen unsicheren Weltlage ist das unabdingbar. Kritische Informationen staatlicher oder militärischer Stellen müssen zuverlässig vor Zugriffen Unbefugter geschützt werden. Deshalb will die EU als Pionier auf das Prinzip der Quantenschlüsselverteilung, kurz QKD (Quantum Key Distribution), setzen. Und das könnte sich als echter Vorteil gegenüber Starlink und den anderen kommerziellen Netzwerken erweisen. Ziel ist es, zwei Partnern, die beliebig weit voneinander entfernt sind, geheime symmetrische Schlüssel zur Verfügung zu stellen. Das kann mithilfe verschränkter Lichtteilchen geschehen. Diese Photonen sind in ihren Eigenschaften so eng miteinander verbunden, dass die Messung des einen Teilchens sofort auch den Zustand des anderen festlegt. Greift jemand Unbefugtes ein, wird diese Verbindung augenblicklich zerstört, was ein Abhören quasi unmöglich macht. Mit QKD wäre die Kommunikation selbst vor Quantencomputern sicher, für die es bald ein Leichtes sein könnte, viele der klassischen Verschlüsselungsmethoden zu knacken.

Dr. Fabian Steinlechner erforscht am Fraunhofer IOF in Jena, wie Kommunikation via Satelliten durch verschränkte Photonen abhörsicher werden kann.
© Fraunhofer / Thomas Straub
Sicher mit Laserlicht: Dr. Fabian Steinlechner erforscht am Fraunhofer IOF in Jena, wie Kommunikation via Satelliten durch verschränkte Photonen abhörsicher werden kann.

Über lange Strecken, bei Tag und Nacht

Über kürzere Distanzen am Boden ist der Austausch der Quantenschlüssel schon problemlos möglich. Längere Reichweiten über Kontinente hinweg, wie es für die globale Quantenkommunikation nötig wäre, bleiben noch eine Herausforderung. Zu viele der fragilen Lichtteilchen gehen verloren. Am Fraunhofer IOF arbeitet Dr. Fabian Steinlechner mit seinem Team gleich in mehreren Projekten an Lösungen. So entwickeln sie zum Beispiel weltraumtaugliche, miniaturisierte Photonenquellen in der Größe eines Milchkartons, die als Sender auf den Satelliten fungieren sowie die verschränkten Lichtstrahlen erzeugen und zur Erde senden. Empfangen werden diese in der Bodenstation mit optischen Spiegelteleskopen, in ihrer Größe vergleichbar mit TV-Parabolspiegeln. Von dort gehen sie weiter ins Glasfasernetz, über das sie an die Empfänger verteilt werden. Die Quantenkommunikation via Freistrahl will der Optikexperte gemeinsam mit acht europäischen und kanadischen Forschungspartnern zu skalierbaren globalen Quantennetzwerken weiterentwickeln. »Im Projekt Hyperspace erarbeiten wir erste Konzepte dafür, wie wir verschränkte Photonen über längere Distanzen von 6000 Kilometern und mehr übertragen können. Dazu gehört zum Beispiel eine rauschresistente Zustandscodierung der Lichtquanten oder die sogenannte Hyperverschränkung. Dabei sind die Teilchen nicht nur über eine, sondern über mehrere Eigenschaften miteinander verschränkt. Das könnte die Informationsübertragung sowohl schneller als auch effizienter machen.«

Drei Hürden gibt es allerdings bei der optischen Kommunikation per Satellit: Sonnenlicht, Wolken und atmosphärische Turbulenzen. Sie verringern die Qualität der Lichtsignale spürbar oder verschlechtern die Sichtbarkeit. Um auch bei Tageslicht brauchbare Signale zu erhalten, setzen die Quantenexperten verschiedene Filter ein: »Da man weiß, aus welcher Richtung und zu welchem Zeitpunkt die Datensignale losgeschickt wurden, kann man diese mithilfe räumlicher und zeitlicher Filter vom Sonnenlicht unterscheiden und herausfiltern«, erklärt Fabian Steinlechner. »Zudem lässt sich mit spektralen Filtern das Spektrum auf die entsprechenden Wellenlängen einengen.«

Die Korrektur von Lichtstrahlen, die durch Turbulenzen abgelenkt werden, ist durch sogenannte adaptive Optiken (AO) möglich. Vorstellen kann man sich diese als flexible, deformierbare kleine Spiegel in den Empfangsteleskopen, die von mehreren Stellelementen in Form gebracht werden, um den Lichtstrahl wieder exakt so auszurichten, dass er vom Teleskop empfangen werden kann. Mithilfe dieser AO-Spiegel lässt sich das Licht auch weiter fokussieren und in ein Glasfaserkabel mit etwa zwei Millimetern Durchmesser leiten. Die bisher noch größte zu lösende Herausforderung sind Wolken, denn sie verhindern das Durchkommen der optischen Signale oft ganz. Hier helfen laut Steinlechner Redundanzen mit anderen Technologien wie Funk oder die Umleitung zu weiteren Satelliten über wolkenfreien Gebieten. Zudem lassen sich die Quantenschlüssel auch im Voraus erstellen, sodass eine sichere Kommunikation nicht zwangsläufig von der Bewölkung abhängt.

All das macht Quantenkommunikation technologisch heute noch zu aufwendig, um universelle Breitbandverbindungen zu sichern. »So wie Quantencomputer keine Smartphones ersetzen werden, wird Quantenkommunikation nicht herkömmliche Kommunikationstechnologien ersetzen«, sagt der Forscher. Zwar sieht er die technologische Reife bis 2027, wenn IRIS2 an den Start gehen soll, durchaus weit genug gediehen, aber eben nur für bestimmte Einsatzgebiete. So ist beispielsweise denkbar, dass mithilfe der europäischen Satelliten ein temporäres hochsicheres Internet für besonders sicherheitskritische Anwendungen oder Anlässe wie den G7-Gipfel aufgebaut wird. Wie das möglich ist, demonstrierte das Forscherteam kürzlich in einem Schlüsselexperiment im Rahmen der vom BMBF geförderten Initiative QuNet. Darin erstellten sie ein Adhoc-Quantennetzwerk zwischen drei Standorten in Jena, über das diese abhörsicher miteinander kommunizieren konnten.

Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil

Noch sind die privaten Satellitennetzwerke dem europäischen Netzwerk in der Entwicklung um einige Jahre voraus. Doch es gibt neben dem Einsatz von Quantentechnologie einen weiteren Punkt, wo IRIS² Vorreiter werden könnte: Die Konstellation soll nachhaltiger als andere werden. So ist geplant, die Emission von Treibhausgasen bereits beim gesamten Entwicklungsprozess zu minimieren. Ein bislang wenig thematisiertes Problem ist die Lichtverschmutzung. Am Nachthimmel leuchten längst nicht nur Sterne, sondern sehr viele Satelliten – und es werden immer mehr. Die International Astronomical Union erachtet die Folgen der Konstellationen für bedenklich, da sie das Sonnenlicht reflektieren und so astronomische Beobachtungen stören. »Deshalb ist es auch der Anspruch von IRIS2, die visuelle Helligkeit der Satelliten zu reduzieren, zum Beispiel mit speziellen, nicht reflektierenden Beschichtungen«, führt Nadya Ben Bekhti-Winkel aus.

Und dann ist da noch das große Problem der unerwünschten Hinterlassenschaften: Mehr Satelliten bedeuten potenziell mehr Weltraumschrott durch losgelöste Teile, defekte oder ausgediente Objekte. Dadurch steigt das Kollisionsrisiko. Etwa 30 000 Teile, die größer sind als zehn Zentimeter, und mehr als eine Million mit einer Größe zwischen einem und zehn Zentimetern rasen
momentan laut ESA mit Geschwindigkeiten von bis zu 50 000 Stundenkilometern um die Erde. Selbst ein winziges Schrottteil entfaltet beim Aufprall die Wucht einer Handgranate. Am Fraunhofer EMI untersuchen Forschende die Auswirkungen derartiger Einschläge auf Satelliten experimentell im Labor. Mit einer eigenen Software führen sie Risikoanalysen durch, um Schwachstellen schon in der Designphase von Satelliten zu erkennen und Schutzschilde einzuplanen. Viele Hersteller statten ihre Satelliten zudem mit Triebwerken aus, damit sie großen Schrottteilen und Flugkörpern mit messbaren Flugbahnen ausweichen können.

Um sowohl die Nachhaltigkeit im All als auch die Sicherheit am Boden zu erhöhen, muss schon beim Bau der Satelliten sichergestellt werden, dass sie restlos verglühen, wenn sie nach ihrer Laufzeit wieder in die Erdatmosphäre eintreten. Das Problem: In 600 Kilometern Höhe kreist Weltraummüll etwa 25 Jahre, bevor sich seine Geschwindigkeit so weit abbremst, dass er in der Atmosphäre verglüht. In 800 Kilometern Höhe kann dies bereits 150 Jahre dauern. Vorreiter dabei, das Schrottproblem zu lösen, ist Frankreich: Hier ist die Entsorgung von Satelliten am Ende ihrer Mission gesetzlich geregelt. Auch ERNST nimmt den Schutz des Weltraums ernst: Ein Bremssegel mit einer Größe von 1,6 x 1,6 Metern entfaltet sich am Ende der Betriebszeit und verkürzt die Verweildauer des Fraunhofer-Nanosatelliten in 500 Kilometern Höhe von wenigen Jahren auf wenige Monate.

Satelliten und Weltraumschrott mit Radar im Blick

Je voller es im erdnahen Orbit wird, desto wichtiger ist ein möglichst vollständiger und aktueller Überblick. Vor allem da es weder eine weltweite Institution noch internationale Abkommen gibt, die regulieren oder überwachen, wer wie viele Satelliten ins All schickt. In puncto systematische Weltraumüberwachung griff Deutschland bislang vor allem auf Daten von US-Behörden zurück, die mitunter andere Schwerpunkte setzen oder bestimmte Informationen nicht offenlegen. So wuchs in den vergangenen Jahren das Bewusstsein, auch bei diesem kritischen Thema möglichst unabhängig von den Daten anderer sein zu müssen. Deshalb entsteht nun mit GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar) ein eigenes Weltraumüberwachungssystem. Mit modernster Radartechnik beobachtet es Objekte in 300 bis 3000 Kilometern Höhe. Aus allen Objektdetektionen berechnet das deutsche Weltraumlagezentrum Bahndaten, die in einer Art großen Verkehrskarte, dem sogenannten Bahndatenkatalog, erfasst werden. Auf Basis dieses Katalogs lassen sich etwaige Kollisionsrisiken abschätzen. Da die Objekte durch verschiedene Einflüsse mitunter ihre Bahnen ändern, müssen sie kontinuierlich beobachtet und die Karte ständig angepasst werden.

 

Entwickelt wurde GESTRA am Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR in Wachtberg bei Bonn für die Deutsche Raumfahrtagentur des DLR. Derzeit befindet es sich auf der Schmidtenhöhe bei Koblenz im Testbetrieb, soll aber so bald wie möglich an das DLR übergeben werden. »Das Besondere an GESTRA ist seine Phased-Array-Technologie«, verdeutlicht Dr. Lars Fuhrmann, Leiter des Bereichs Radar zur Weltraumlageerfassung beim Fraunhofer FHR. »Sie erzeugt elektronisch schwenkbare Radarbeams, die sich großflächig wie ein riesiger Zaun aufspannen lassen. Objekte, die durch diesen Zaun fliegen, werden erfasst. Das Radar deckt einen Bereich von bis zu 90° x 15° am Himmel ab. Zur Veran­schaulichung: Der Durchmesser des Mondes am Himmel entspricht von der Erde aus gesehen etwa einem halben Grad. Damit entspricht die Fläche des GESTRA-Suchzauns am Himmel etwa 180 x 30 Monddurchmessern.«

Weltweit einmalig ist GESTRA auch, weil es sehr kompakt und teilmobil ist – seine Komponenten passen in wenige Container. Somit lässt sich das System nicht nur leicht an andere Orte bringen, um weitere Bereiche des Himmels zu erfassen, sondern es ist auch skalierbar. Perspektivisch ließen sich also mehrere Systeme weltweit positionieren, um zum Beispiel das gleiche Objekt von mehreren Standpunkten aus zu beobachten und damit noch genauere Daten zu erhalten. Mit diesem Ziel kooperiert das Fraunhofer FHR mit der Hensoldt AG, die das Weltraumüberwachungsradar in ein serienreifes, operationell einsatzfähiges System überführen will.

Dr. Lars Fuhrmann vom Fraunhofer FHR im Weltraumbeobachtungsradar TIRA in Wachtberg.
© Fraunhofer / Thomas Straub
Dr. Lars Fuhrmann am Fraunhofer FHR kann mit TIRA die Bahndaten und Rotationsparameter von Satelliten oder Weltraumschrott genau erfassen.

Die Weltraumaufklärer

Ein umfassender Überblick über das Geschehen im erdnahen Weltraum ist wichtig, doch manchmal sind detailliertere Informationen zu einem bestimmten Objekt – ob aktiver Satellit oder Weltraumschrott – gefragt. Ein Fall für den Weltraumaufklärungssensor TIRA (Tracking and Imaging RAdar). Das ebenfalls am Fraunhofer FHR entwickelte und betriebene Radarsystem steht, etwa 60 Kilometer vom GESTRA-Standort entfernt, unter der weißen Kuppel des Radoms in Wachtberg bei Bonn. Es ist das bislang einzige System außerhalb der USA, das es erlaubt, vom Boden aus Bahnen von Weltraumobjekten mit sehr hoher Genauigkeit zu vermessen und Satelliten mit hoher Auflösung abzubilden.

Während GESTRA einen Überblick über das große Ganze gibt, schaut TIRA genauer hin: Wie ist das Objekt beschaffen? Ist ein Satellit durch eine Kollision beschädigt? Wie entwickelt sich seine Flugbahn oder sein Rotationsverhalten? Wann und wie tritt das Objekt wieder in die Erdatmosphäre ein? Um derlei Fragen zu beantworten, nutzt das TIRA-System sowohl einen leistungsfähigen Radar für das präzise Tracking der Objekte als auch einen hochauflösenden Radar für die feine Objektabbildung. Beide sind in der Großantenne mit einem Durchmesser von 34 Metern integriert.

Für das Tracking der schnellen Satelliten oder Schrottteile sind vor allem Geschwindigkeit und Präzision gefragt, denn sie sind meist schon nach wenigen Minuten wieder hinter der Erdkrümmung verschwunden. Und schnell ist TIRA: Die riesige, etwa 240 Tonnen schwere Antenne des Systems kann sich in 15 Sekunden einmal um die eigene Achse drehen. »Das ist Weltrekord«, sagt Lars Fuhrmann und verdeutlicht: »Das System kombiniert hohe Positionierungsgenauigkeit und Empfindlichkeit. Der Radar-beam des Trackingradars kann in 1000 Kilometern Entfernung auf drei Meter genau auf ein Objekt positioniert werden. Gleichzeitig können wir zwei Zentimeter kleine Trümmerteile in gleicher Distanz detektieren.«

Rückholmissionen für ausgediente Satelliten

Genutzt wird TIRA ebenfalls als Experimentalsystem, um neue Verfahren zur Weltraumbeobachtung am Fraunhofer FHR sowie in Kooperation mit Weltraumorganisationen wie ESA oder DLR zu entwickeln. »Die Einsatzfelder reichen von genauen Bahnberechnungen bis hin zu hochtechnischen Analysen von auffälligen oder anderweitig interessanten Satelliten«, führt Fuhrmann aus. »Wir erstellen Serien hochaufgelöster Radarbilder, zum Beispiel um den Stabilisierungszustand und die Rotationseigenschaften ausgefallener Satelliten zu untersuchen.« So halfen die TIRA-Experten im Vorfeld der für 2025 geplanten ersten europäischen ClearSpace-Mission mit der Charakterisierung eines Objekts bei der Auswahl von für die Rückholung geeigneten Objekten. Ein möglicher Kandidat für eine spätere Mission ist der ESA-Erdbeobachtungssatellit Envisat, der 2012 ausgefallen war und seither als Geistersatellit seine Kreise im All zieht. 150 Jahre würde es dauern, bis er so viel Geschwindigkeit verliert, dass er ohne Zutun in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht. So lange wäre er mit seinen acht Tonnen Gewicht und 25 Metern Durchmesser eine riesige Gefahr für andere Satelliten. Die entstehende Trümmerwolke könnte bei einer Kollision eine verheerende Kettenreaktion auslösen.

Um einzuschätzen, welche der zur Verfügung stehenden Einfangtechniken – wie Netze oder Magnetfeldtechnologie – sich am besten eignen, um einen solchen Koloss einzufangen, und wie man sich ihm am besten nähert, beobachten die Experten den Satelliten mit TIRA über Monate und Jahre und erfassen akribisch seine Rotationsparameter und -geschwindigkeit. Diese Daten könnten zur Vorbereitung einer Rückholmission herangezogen werden. Ziel ist es, den ausgedienten Satelliten gezielt verglühen zu lassen und somit sein nachhaltiges Lebensende sicherzustellen. Dank seiner besonderen Fähigkeiten genießt TIRA weltweit einen guten Ruf. So unterstützt das Forscherteam derzeit die japanische Raumfahrtagentur bei ähnlichen Rückholaktivitäten.  

Grenzen der Souveränität

Eine andere Herausforderung bleibt weitgehend ungelöst: Wie kommen die europäischen Satelliten überhaupt ins All? Da die EU bislang weder die nötige moderne Raketentechnik noch die Kapazitäten hat, stößt die Souveränität spätestens hier an ihre Grenzen. Nachdem russische Trägerraketen und Startplätze infolge des Ukraine-Krieges ausfallen, sind europäische Missionen auf Unternehmen wie das US-amerikanische SpaceX von Elon Musk angewiesen. Doch dort ist die Warteliste trotz vieler Flüge lang. Den 60 Starts der Falcon-Rakete von SpaceX im Jahr 2022 standen zwei Starts der europäischen Ariane 5 gegenüber.

Zwar soll der mehrmals verschobene Start der bislang leistungsfähigsten europäischen Trägerrakete Ariane 6 nun Ende 2023 in Französisch-Guayana stattfinden, doch ist fraglich, ob ihre Kapazitäten für das wachsende Satellitengeschäft ausreichen werden. Denn im Gegensatz zu den wiederverwendbaren Trägerraketen von SpaceX, die mehr Starts erlauben, wird die Ariane vorerst eine Einweg-Rakete bleiben. Nachhaltigkeit hatte man 2014, als die Planungen bei Arianespace starteten, schlichtweg nicht mitgedacht.

Hoffnung geben indes viele neue New-Space-Start-ups, die derzeit zusammen mit öffentlichen Entscheidungsträgern daran arbeiten, die Raumfahrtkapazitäten in der EU auszubauen. Auch Fraunhofer-EMI-Mann Frank Schäfer ist überzeugt: »Es gibt in Europa und auch bei Fraunhofer ein großes Know-how in relevanten Technologien, sei es im Bau von Satelliten, in Kommunikations-, Quanten- oder Radartechnologien. Damit wird es uns gelingen, eine eigene verlässliche Infrastruktur im All aufzubauen und uns aus bisherigen Abhängigkeiten von den USA und Russland zu befreien.«                                                            

Kontakt

Contact Press / Media

Dr.-Ing. Simon M. Kothe

Geschäftsstelle Fraunhofer AVATION & SPACE – Geschäftsfeld Luftfahrt

Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM
Wiener Straße 12
28359 Bremen

Telefon +49 421 2246-582

Fax +49 421 2246-430

Contact Press / Media

Thomas Loosen

Geschäftsstelle Fraunhofer AVATION & SPACE – Geschäftsfeld Raumfahrt

Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT
Appelsgarten 2
53879 Euskirchen

Telefon +49 2251 18-308

Fax +49 2251 18-38308